Warum Sie öffentliche Ausschreibungen nicht ignorieren sollten
Als Unternehmerin oder Unternehmer fragen Sie sich vielleicht, ob der Aufwand für öffentliche Ausschreibungen wirklich lohnt. Die Antwort ist ein klares Ja – und das aus mehreren Gründen:
- Die öffentliche Hand ist ein verlässlicher Zahler
- Aufträge sind oft langfristig angelegt und bieten Planungssicherheit
- Referenzen aus dem öffentlichen Sektor steigern Ihre Reputation
- In wirtschaftlich schwierigen Zeiten bleiben öffentliche Aufträge oft stabil
Ein weiterer Vorteil: Haben Sie erst einmal den Einstieg geschafft, wird jede weitere Teilnahme an Ausschreibungen einfacher, da Sie die Prozesse kennen und viele Unterlagen wiederverwenden können.
Die Grundlagen: Was verbirgt sich hinter dem Vergabeverfahren?
Im Kern geht es bei öffentlichen Vergabeverfahren darum, dass staatliche Stellen – vom Bund über Länder und Kommunen bis hin zu öffentlichen Unternehmen – ihre Aufträge nach klaren Regeln vergeben müssen. Anders als in der Privatwirtschaft können sie nicht einfach frei entscheiden, von wem sie Waren oder Dienstleistungen beziehen.
Diese Regeln dienen mehreren Zielen:
- Sie sollen einen fairen Wettbewerb sicherstellen
- Öffentliche Gelder sollen wirtschaftlich und sparsam eingesetzt werden
- Der gesamte Prozess soll transparent sein
- Mittelständische Interessen sollen besonders berücksichtigt werden
Für Sie als Bieter bedeutet das: Wenn Sie die Spielregeln kennen und Ihr Angebot entsprechend gestalten, haben Sie faire Chancen – unabhängig von der Größe Ihres Unternehmens oder bestehenden Kontakten.
Welche Verfahrensarten gibt es? Ein Überblick für Einsteiger
Je nach Auftragswert und Art des Auftrags kommen unterschiedliche Verfahren zum Einsatz. Hier ein Überblick über die wichtigsten:
Für größere Aufträge (Oberschwellenbereich mit EU-weiter Ausschreibung):
Offenes Verfahren: Der Klassiker – jedes interessierte Unternehmen kann ein Angebot abgeben. Der Vorteil für Sie: keine Vorauswahl, maximale Chancen.
Nicht offenes Verfahren mit Teilnahmewettbewerb: Hier erfolgt zuerst eine Vorauswahl der Bieter, und nur die ausgewählten Unternehmen dürfen ein Angebot abgeben. Mein Tipp: Investieren Sie besonders in die Qualität Ihres Teilnahmeantrags.
Verhandlungsverfahren: Erlaubt Verhandlungen über den Auftragsgegenstand. Kommt zum Einsatz, wenn besondere Gründe vorliegen, etwa bei komplexen Projekten.
Für kleinere Aufträge (Unterschwellenbereich, national):
Öffentliche Ausschreibung: Das "kleine" Pendant zum offenen Verfahren – auch hier kann jeder ein Angebot einreichen.
Beschränkte Ausschreibung: Nur ausgewählte Unternehmen werden zur Angebotsabgabe aufgefordert.
Verhandlungsvergabe/Freihändige Vergabe: Bietet mehr Spielraum für direkte Verhandlungen, kommt aber nur unter bestimmten Voraussetzungen zum Einsatz.
Direktauftrag: Bei sehr kleinen Aufträgen (meist bis 1.000 EUR, in manchen Bundesländern auch höher) darf direkt beauftragt werden.
Kleiner Insider-Tipp: Die Schwellenwerte, ab denen EU-weit ausgeschrieben werden muss, werden regelmäßig angepasst. Aktuell liegen sie bei etwa 215.000 EUR für Liefer- und Dienstleistungsaufträge und 5,38 Millionen EUR für Bauaufträge.
Der Ausschreibungsprozess Schritt für Schritt erklärt
1. Die Vorbereitung – Was passiert hinter den Kulissen?
Bevor Sie überhaupt von einer Ausschreibung erfahren, läuft bei den Behörden bereits ein intensiver Vorbereitungsprozess:
- Der Bedarf wird ermittelt und das Beschaffungsziel definiert
- Es wird geprüft, ob die Leistung in Einzellose aufgeteilt werden kann (wichtig für kleinere Anbieter!)
- Die Gesamtkosten werden kalkuliert und die Finanzierung sichergestellt
- Vergabeunterlagen mit Leistungsbeschreibungen und Vertragsbedingungen werden erstellt
Dies erklärt, warum Ausschreibungsunterlagen oft so umfangreich sind – sie sind das Ergebnis eines langen Vorbereitungsprozesses.
2. Die Ausschreibung wird bekannt gemacht – Ihre Chance beginnt
Jetzt wird es für Sie interessant: Die Ausschreibung wird veröffentlicht. Je nach Art und Umfang geschieht dies:
- Bei EU-weiten Ausschreibungen: im Supplement zum Amtsblatt der EU (elektronisch über TED – Tenders Electronic Daily)
- Bei nationalen Ausschreibungen: auf Vergabeplattformen wie www.bund.de oder Landesportalen
- Teilweise auch in Fachzeitschriften oder Tageszeitungen
Die Bekanntmachung enthält alle wichtigen Informationen, die Sie für Ihre erste Entscheidung brauchen: Um was geht es? Welche Qualifikationen werden erwartet? Welche Fristen gelten?
3. Die Vergabeunterlagen – Ihr Fahrplan zum Erfolg
Auf Basis der Bekanntmachung können Sie entscheiden, ob die Ausschreibung für Sie interessant ist. Wenn ja, fordern Sie die vollständigen Vergabeunterlagen an oder laden sie herunter. Bei EU-weiten Verfahren müssen diese mittlerweile elektronisch und kostenfrei bereitgestellt werden.
In den Unterlagen finden Sie:
- Detaillierte Leistungsbeschreibungen
- Vertragsbedingungen
- Anforderungen an Ihre Eignung
- Zuschlagskriterien
- Formblätter für Ihr Angebot
Hier lauert eine häufige Stolperfalle: Viele Bieter überfliegen die Unterlagen nur. Investieren Sie ausreichend Zeit, um sie gründlich zu studieren – das zahlt sich später aus!
4. Die Angebotsphase – Jetzt sind Sie am Zug
Nun beginnt Ihre aktive Phase:
Die Angebotserstellung: Auf Grundlage der Vergabeunterlagen erstellen Sie Ihr Angebot. Beachten Sie dabei genau die Vorgaben zur Form und zum Inhalt.
Bieterfragen: Unklarheiten in den Unterlagen? Zögern Sie nicht, Fragen zu stellen! Die Antworten gehen an alle Bieter – so wird Chancengleichheit gewahrt.
Die Angebotsabgabe: Reichen Sie Ihr Angebot fristgerecht und formgerecht ein. Bei elektronischen Vergabeverfahren bedeutet das: rechtzeitige Übermittlung über die angegebene Plattform unter Beachtung der Verschlüsselungsvorgaben.
5. Die Angebotswertung – Spannendes Warten
Nach Ablauf der Angebotsfrist beginnt die Wertungsphase:
Die Angebotsöffnung: Erst jetzt werden die Angebote geöffnet – immer nach dem Vier-Augen-Prinzip.
Die Wertung: Diese erfolgt in mehreren Stufen:
- Formelle Prüfung: Sind alle Unterlagen vollständig? Wurde die Frist eingehalten?
- Eignungsprüfung: Erfüllen Sie als Bieter die geforderten Qualifikationen?
- Angebotswertung: Entspricht Ihr Angebot den Anforderungen?
- Zuschlagswertung: Wie schneidet Ihr Angebot bei den Zuschlagskriterien ab?
6. Der Zuschlag – Hoffen auf die gute Nachricht
Am Ende steht die Entscheidung: Zuschlag oder Absage.
Bei Zuschlag: Herzlichen Glückwunsch! Sie erhalten eine Auftragsbestätigung, und der Vertrag kommt zustande.
Bei Absage: Im Oberschwellenbereich erhalten Sie vor der endgültigen Zuschlagsentscheidung eine Information, wenn Ihr Angebot nicht berücksichtigt werden soll. Diese sogenannte "Vorabinformation" gibt Ihnen die Möglichkeit, bei Verfahrensfehlern noch Nachprüfung zu beantragen.
Wie Sie die richtigen Ausschreibungen finden
Der Markt der öffentlichen Aufträge ist riesig – doch wie finden Sie die Nadel im Heuhaufen, also die für Sie passenden Ausschreibungen?
Kostenlose Recherchemöglichkeiten:
- TED (Tenders Electronic Daily) für EU-weite Ausschreibungen
- Vergabeplattformen des Bundes und der Länder
- Ausschreibungsblätter und Fachzeitschriften
Kostenpflichtige, aber effiziente Alternativen:
- Ausschreibungsdienste, die nach Ihrem Firmenprofil filtern
- Branchenspezifische Ausschreibungsservices
Mein praktischer Tipp: Richten Sie sich einen E-Mail-Alert ein oder prüfen Sie die relevanten Plattformen regelmäßig – am besten zu einem festen Termin in Ihrem Kalender. So verpassen Sie keine Chance.
Die effektive Analyse der Vergabeunterlagen
Haben Sie eine interessante Ausschreibung gefunden, gilt es, die oft umfangreichen Unterlagen effizient zu analysieren. Bewährt hat sich die 4-Farb-Methode:
- Blau markieren: Formale Anforderungen wie Fristen, Nachweise, Formvorschriften
- Grün markieren: Inhaltliche Anforderungen an die Leistung
- Gelb markieren: Preisliche Vorgaben, Kalkulationsanforderungen
- Rot markieren: Rechtliche Aspekte wie Vertragsbedingungen, Haftung, Gewährleistung
Nach dieser Analyse haben Sie einen klaren Überblick, was zu tun ist. Erstellen Sie daraus einen Aufgaben- und Zeitplan für Ihr Team.
So erstellen Sie ein wettbewerbsfähiges Angebot
Der wichtigste Teil Ihrer Arbeit: die Angebotserstellung. Hier entscheidet sich Ihr Erfolg.
Vor der eigentlichen Angebotserstellung:
- Prüfen Sie Ihre Ressourcen: Können Sie den Auftrag erfüllen?
- Klären Sie, ob Sie alle geforderten Nachweise erbringen können
- Entscheiden Sie, ob Sie allein oder mit Partnern anbieten (Bietergemeinschaft)
Bei der Angebotserstellung:
- Folgen Sie genau den Vorgaben – nutzen Sie vorgegebene Formblätter
- Stellen Sie die geforderten Nachweise zusammen
- Erstellen Sie ggf. Konzepte, wenn diese gefordert sind
- Kalkulieren Sie Ihren Preis sorgfältig und realistisch
Mein Praxistipp: Viele Bieter scheitern an formalen Fehlern! Nutzen Sie eine Checkliste und lassen Sie Ihr Angebot von einer zweiten Person prüfen.
Die kritischen Fristen – Ihre wichtigsten Termine
Zeit ist ein kritischer Faktor bei Ausschreibungen. Die Fristen sind unbedingt einzuhalten:
Im offenen Verfahren (EU-weit): Mindestens 35 Tage für die Angebotsabgabe – das klingt viel, ist aber angesichts der Vorbereitungen oft knapp.
Im nicht offenen Verfahren: Mindestens 30 Tage für den Teilnahmeantrag, dann weitere 30 Tage für die Angebotsabgabe.
Mein Tipp aus der Praxis: Planen Sie mindestens 25% mehr Zeit ein als Sie für nötig halten. Erfahrungsgemäß tauchen immer unerwartete Fragen auf, Nachweise müssen beschafft werden, oder technische Probleme können die Abgabe verzögern.
Die Chance der Bieterfragen optimal nutzen
Ein oft unterschätztes Instrument: Bieterfragen. Sie können damit nicht nur Unklarheiten beseitigen, sondern auch indirekt Einfluss auf das Verfahren nehmen:
- Stellen Sie präzise Fragen zu unklaren Formulierungen
- Weisen Sie höflich auf mögliche Widersprüche in den Unterlagen hin
- Nutzen Sie Ihre Fachkenntnis, um auf Optimierungspotenzial hinzuweisen
Wichtig: Formulieren Sie Ihre Fragen professionell und konstruktiv. Denken Sie daran, dass Ihre Fragen mit den Antworten allen Bietern zugänglich gemacht werden.
Nach der Angebotsabgabe – was nun?
Die Zeit nach der Angebotsabgabe kann nervenaufreibend sein. So meistern Sie diese Phase:
- Halten Sie Ressourcen bereit, um auf Nachforderungen oder Aufklärungsfragen reagieren zu können
- Bei einer Absage: Fragen Sie freundlich nach den Gründen (was viele nicht tun!)
- Bei Zuschlag: Bereiten Sie sich auf die Vertragsunterzeichnung und die Auftragserfüllung vor
Aus meiner Erfahrung kann ich sagen: Lernen Sie aus jeder Teilnahme – auch aus Misserfolgen. Analysieren Sie, was gut lief und was Sie beim nächsten Mal verbessern können.
Einsteiger-Tipps für Ihren erfolgreichen Start
Als Neuling im Vergabemarkt können diese Tipps Ihnen den Einstieg erleichtern:
- Starten Sie mit überschaubaren Ausschreibungen – so sammeln Sie Erfahrung, ohne sich zu überfordern
- Legen Sie eine Nachweis-Sammlung an – viele Dokumente werden immer wieder gefordert
- Nutzen Sie die Präqualifikation – einmal registriert, sparen Sie bei jeder Ausschreibung Zeit
- Besuchen Sie Vergabeseminare – das Investment zahlt sich schnell aus
- Vernetzen Sie sich mit erfahrenen Bietern – vielleicht ergeben sich Partnerschaften
Besonders empfehlenswert: Kontaktieren Sie die Auftragsberatungsstellen in Ihrem Bundesland. Sie bieten oft kostenlose Erstberatungen und wertvolle Informationen.
Meine persönlichen Learnings aus 10 Jahren Vergabepraxis
Nach zahlreichen begleiteten Vergabeverfahren möchte ich einige persönliche Erkenntnisse mit Ihnen teilen:
Was tatsächlich zählt: Entgegen der landläufigen Meinung gewinnt nicht immer der günstigste Anbieter. Qualitative Kriterien gewinnen zunehmend an Bedeutung – insbesondere Nachhaltigkeit, Innovationskraft und spezifisches Know-how.
Der unterschätzte Erfolgsfaktor: Die saubere Dokumentation Ihrer Referenzen. Investieren Sie Zeit, um Ihre bisherigen Projekte gut aufzubereiten und darzustellen.
Die häufigste Ursache für Misserfolge: Unvollständigkeit der Angebote. Oft werden Erklärungen oder Nachweise vergessen – ein vermeidbarer Fehler.
Mein wichtigster Rat: Bleiben Sie dran! Der Einstieg mag mühsam sein, aber mit jeder Teilnahme wird es leichter, und die Erfolgsquote steigt.
Fazit: Der öffentliche Auftragsmarkt – Ihre Chance für stabiles Wachstum
Mit einem Volumen von rund 500 Milliarden Euro jährlich bietet der öffentliche Auftragsmarkt enorme Chancen für Ihr Unternehmen. Die anfänglichen Hürden mögen abschreckend wirken, doch der Aufwand lohnt sich. Öffentliche Auftraggeber schätzen Zuverlässigkeit und Qualität – und wenn Sie diese bieten, können Sie langfristige Geschäftsbeziehungen aufbauen.
Starten Sie am besten mit kleineren Ausschreibungen, um Erfahrungen zu sammeln. Nutzen Sie die verfügbaren Unterstützungsangebote und lernen Sie aus jedem Verfahren – egal ob mit oder ohne Zuschlag. Mit der Zeit entwickeln Sie eine Routine und können Ihre Erfolgsquote kontinuierlich steigern.
Die öffentliche Hand bietet in wirtschaftlich unsicheren Zeiten zudem einen verlässlichen Kundenstamm mit planbaren Zahlungsströmen – ein wertvoller Stabilitätsanker für Ihr Unternehmen.
Mein abschließender Tipp: Machen Sie den ersten Schritt. Suchen Sie noch heute nach einer passenden Ausschreibung und wagen Sie den Einstieg. Der öffentliche Auftragsmarkt wartet auf Sie!